CAROLINE STRECK – DURCHSTREIFEN
Katalog @ Distanz
1.10.2020 – Katalogtext
Wie lässt sich ein Moment, eine Person oder ein Gefühl in Farbe fassen? Und auf welche Weise können interne Empfindungen in ein Äußeres und ein Externes in Innenliegendes transportiert werden? In ihren Malereien begibt sich Caroline Streck auf die Suche nach einer rhythmischen Übertragung eben jener intuitiven Wahrnehmung auf die Oberfläche ihrer Leinwände. Den körperlichen Akt des Malens selbst, der oftmals auf wiederkehrenden, körpergroßen Formaten stattfindet, begreift sie dabei als einen Dialog mit dem Gegenüber. In ihrem Fall bildet zumeist ein bespannter Keilrahmen dieses Gegenüber, dem sie in mehreren, zum Teil lasierenden Schichten begegnet. In geradlinigen Farbbahnen entstehen symmetrische Muster und Streifenformationen, die in regelmäßigen Abständen die Bildoberfläche strukturieren. Die Instrumente dieser malerischen Handlungen sind industriell gefertigte Pinsel unterschiedlicher Stärke, die durch ihre vorgegebene Breite die Form der Bildkonstruktionen vorgeben. Den malerischen Prozess vergleicht die Künstlerin mit einem Impuls, der einer momentanen, intensiven Lust nach Farbe und Form nachgeht. „Ich weiß ganz genau, dieses Bild könnte keine andere Farbe haben“, betont sie bei meinem Besuch in ihrem Atelier in Frankfurt.
Der Ausgangspunkt ihrer Werke basiert jedoch nicht nur auf intrinsischen Prozessen, sondern spiegelt häufig auch externe Strukturen wider. In ihrer formalen Formgebung und seriellen Anordnung erinnern Strecks Bildträger an alltägliche Realräume – Räume unseres Zusammenlebens, Landschaften der modernen Gesellschaft. Stadtgewebe, die durch symmetrische Strukturen, Straßenführungen, Häuserfronten und Spiegelungen unsere Leben bestimmen. Die Lebensräume der Künstlerin in Frankfurt am Main, aber auch in die früherer Studienorte in London und Istanbul verbindet ein urbaner, dynamischer Charakter, der möglicherweise die wiederkehrenden Strukturen prägte, die ihren Malereien immanent ist.
Blickt man auf den Verlauf Strecks künstlerischer Entwicklung, veränderte sich ihr Pinselduktus in den letzten Jahren von einem streng kontrollierten, am Gegenstand orientierten, hin zu einem freieren, rhythmischeren Farbauftrag. Während ihre früheren Malereien zwischen 2010-2013 gegenständliche Motive in direkter Weise übertrugen, sind spätere und neueste Arbeiten hingegen von einer abstrakten, sich vom Gegenstand lösenden Geste getrieben. In dieser werden in einer meditativen Rhythmik regelmäßige, sich wiederholende Formen innerhalb des Bildgeschehens zu neuen, abstrakten Räumen. Viele ihrer Arbeiten sind durch eine diagonale Linie, die sich oftmals im Hintergrund liegend über den ganzen Bildraum erstreckt, strukturiert. In einer Art stabilisierenden Komposition, die auch im Realraum Verwendung findet, z.B. als stützendes Element im Gerüstbau, könnte man die Diagonale in Strecks Malereien als tragende Linie des Bildgeschehens betrachten.
Die formale Analyse der Werke deutet also auf Bekanntes hin, doch vertieft man den Blick und betrachtet das hinter den Konstruktionen Verborgene, erkennt man auch eine Auflösung, einen möglichen Zerfall eben jener Ordnungen. Auch die rhythmischen Pinselstriche wirken nur aus größerer Entfernung strukturiert und ordentlich, bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch Farbspritzer, Unregelmäßigkeiten und Unebenheiten ausmachen. Momente, die von der Norm abweichen, und die konsequente Umgrenzung der Struktur verwischen, kennzeichnen viele ihrer Arbeiten.
Ordnung und Struktur im malerischen, aber auch im städtischen Raum schaffen für gewöhnlich Kategorien und unterteilbare Zonen, die sich berechnen und prognostizieren lassen. Doch innerhalb dieser Konstruiertheit entstehen zugleich Zerstückelungen, und inmitten vorgegebener Formen bleiben Leerstellen, Zwischenpassagen und Fragmenträume übrig. Solche ‚Lücken‘ entstehen auch auf Strecks Leinwänden, die ein autonomes Gewebe bilden, das innerhalb formaler Gliederungen ein ungeplantes, unkontrolliertes Eigenleben entwickeln kann, in dem der Zufall des Momentes wuchert. Besonders durch die intuitive Nutzung von Farbe wird Kontrolle losgelassen und werden Konstruktionen verflüssigt. Die logische Struktur weicht so zugunsten einer Rhythmik, die durch freie Bewegungen und übereinander lagernde Farbschichten geprägt ist.
Fast vergnügt wirken beispielsweise die Linien, die von einem Ende zum anderen in not titled yet, 2 magenta oder not titled yet, shadow blue wandern. Zwar bewegen sie sich geradlinig, aber keinesfalls gleichförmig – jeder Pinselstrich ist singulär und nicht nachahmbar – und es entsteht ein abstrakter Raum, der durch die Flüchtigkeit von gefühlten Momenten gelenkt wird.
Besonders deutlich wird das Verhältnis von Intuition und Farbe in der Aquarellserie Farbportraits (2019–ongoing). Hinter diesen horizontalen Farbbahnen, die regelmäßig über die Fläche des Papiers ragen, verbergen sich, den Titeln folgend, Persönlichkeiten – Familie, Freunde und Bekannte der Künstlerin. Jede Farbkarte charakterisiert Personen und stellt die Verfransungen des Lebens durch unterschiedliche Farbpaletten, die von Streck mit den jeweiligen Personen assoziiert werden, in den Vordergrund. In der Farbe liegt demnach auch eine Art Unsachlichkeit, die Ausdruck einer Lust, eines Gefühls, einer momentanen Stimmung ist. Schließlich findet sich in Strecks Malereien eine Kombination aus sowohl internen Prozessen als auch externen Strukturen, die als scheinbare Gegenpole durch den malerischen Prozess in einen Dialog treten und ein neues Gemeinsames bilden, in dem das Gefühl die Struktur aufweicht, welche diesem wiederum Stabilität ermöglicht.
CAROLINE STRECK – DURCHSTREIFEN
Katalog @ Distanz
1.10.2020 – Katalogtext
Wie lässt sich ein Moment, eine Person oder ein Gefühl in Farbe fassen? Und auf welche Weise können interne Empfindungen in ein Äußeres und ein Externes in Innenliegendes transportiert werden? In ihren Malereien begibt sich Caroline Streck auf die Suche nach einer rhythmischen Übertragung eben jener intuitiven Wahrnehmung auf die Oberfläche ihrer Leinwände. Den körperlichen Akt des Malens selbst, der oftmals auf wiederkehrenden, körpergroßen Formaten stattfindet, begreift sie dabei als einen Dialog mit dem Gegenüber. In ihrem Fall bildet zumeist ein bespannter Keilrahmen dieses Gegenüber, dem sie in mehreren, zum Teil lasierenden Schichten begegnet. In geradlinigen Farbbahnen entstehen symmetrische Muster und Streifenformationen, die in regelmäßigen Abständen die Bildoberfläche strukturieren. Die Instrumente dieser malerischen Handlungen sind industriell gefertigte Pinsel unterschiedlicher Stärke, die durch ihre vorgegebene Breite die Form der Bildkonstruktionen vorgeben. Den malerischen Prozess vergleicht die Künstlerin mit einem Impuls, der einer momentanen, intensiven Lust nach Farbe und Form nachgeht. „Ich weiß ganz genau, dieses Bild könnte keine andere Farbe haben“, betont sie bei meinem Besuch in ihrem Atelier in Frankfurt.
Der Ausgangspunkt ihrer Werke basiert jedoch nicht nur auf intrinsischen Prozessen, sondern spiegelt häufig auch externe Strukturen wider. In ihrer formalen Formgebung und seriellen Anordnung erinnern Strecks Bildträger an alltägliche Realräume – Räume unseres Zusammenlebens, Landschaften der modernen Gesellschaft. Stadtgewebe, die durch symmetrische Strukturen, Straßenführungen, Häuserfronten und Spiegelungen unsere Leben bestimmen. Die Lebensräume der Künstlerin in Frankfurt am Main, aber auch in die früherer Studienorte in London und Istanbul verbindet ein urbaner, dynamischer Charakter, der möglicherweise die wiederkehrenden Strukturen prägte, die ihren Malereien immanent ist.
Blickt man auf den Verlauf Strecks künstlerischer Entwicklung, veränderte sich ihr Pinselduktus in den letzten Jahren von einem streng kontrollierten, am Gegenstand orientierten, hin zu einem freieren, rhythmischeren Farbauftrag. Während ihre früheren Malereien zwischen 2010-2013 gegenständliche Motive in direkter Weise übertrugen, sind spätere und neueste Arbeiten hingegen von einer abstrakten, sich vom Gegenstand lösenden Geste getrieben. In dieser werden in einer meditativen Rhythmik regelmäßige, sich wiederholende Formen innerhalb des Bildgeschehens zu neuen, abstrakten Räumen. Viele ihrer Arbeiten sind durch eine diagonale Linie, die sich oftmals im Hintergrund liegend über den ganzen Bildraum erstreckt, strukturiert. In einer Art stabilisierenden Komposition, die auch im Realraum Verwendung findet, z.B. als stützendes Element im Gerüstbau, könnte man die Diagonale in Strecks Malereien als tragende Linie des Bildgeschehens betrachten.
Die formale Analyse der Werke deutet also auf Bekanntes hin, doch vertieft man den Blick und betrachtet das hinter den Konstruktionen Verborgene, erkennt man auch eine Auflösung, einen möglichen Zerfall eben jener Ordnungen. Auch die rhythmischen Pinselstriche wirken nur aus größerer Entfernung strukturiert und ordentlich, bei genauerem Hinsehen lassen sich jedoch Farbspritzer, Unregelmäßigkeiten und Unebenheiten ausmachen. Momente, die von der Norm abweichen, und die konsequente Umgrenzung der Struktur verwischen, kennzeichnen viele ihrer Arbeiten.
Ordnung und Struktur im malerischen, aber auch im städtischen Raum schaffen für gewöhnlich Kategorien und unterteilbare Zonen, die sich berechnen und prognostizieren lassen. Doch innerhalb dieser Konstruiertheit entstehen zugleich Zerstückelungen, und inmitten vorgegebener Formen bleiben Leerstellen, Zwischenpassagen und Fragmenträume übrig. Solche ‚Lücken‘ entstehen auch auf Strecks Leinwänden, die ein autonomes Gewebe bilden, das innerhalb formaler Gliederungen ein ungeplantes, unkontrolliertes Eigenleben entwickeln kann, in dem der Zufall des Momentes wuchert. Besonders durch die intuitive Nutzung von Farbe wird Kontrolle losgelassen und werden Konstruktionen verflüssigt. Die logische Struktur weicht so zugunsten einer Rhythmik, die durch freie Bewegungen und übereinander lagernde Farbschichten geprägt ist.
Fast vergnügt wirken beispielsweise die Linien, die von einem Ende zum anderen in not titled yet, 2 magenta oder not titled yet, shadow blue wandern. Zwar bewegen sie sich geradlinig, aber keinesfalls gleichförmig – jeder Pinselstrich ist singulär und nicht nachahmbar – und es entsteht ein abstrakter Raum, der durch die Flüchtigkeit von gefühlten Momenten gelenkt wird.
Besonders deutlich wird das Verhältnis von Intuition und Farbe in der Aquarellserie Farbportraits (2019–ongoing). Hinter diesen horizontalen Farbbahnen, die regelmäßig über die Fläche des Papiers ragen, verbergen sich, den Titeln folgend, Persönlichkeiten – Familie, Freunde und Bekannte der Künstlerin. Jede Farbkarte charakterisiert Personen und stellt die Verfransungen des Lebens durch unterschiedliche Farbpaletten, die von Streck mit den jeweiligen Personen assoziiert werden, in den Vordergrund. In der Farbe liegt demnach auch eine Art Unsachlichkeit, die Ausdruck einer Lust, eines Gefühls, einer momentanen Stimmung ist. Schließlich findet sich in Strecks Malereien eine Kombination aus sowohl internen Prozessen als auch externen Strukturen, die als scheinbare Gegenpole durch den malerischen Prozess in einen Dialog treten und ein neues Gemeinsames bilden, in dem das Gefühl die Struktur aufweicht, welche diesem wiederum Stabilität ermöglicht.