Andi Fischer:
WENN TIERE ZU MENSCHEN WERDEN UND VICE VERSA
5.10.2020 — Katalogtext
Sies+Höke
Zwischen Mensch und Tier bestand seit jeher eine konstante Co-Abhängigkeit, die sich im Laufe der Jahrtausende innerhalb religiöser, kultureller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen veränderte. Im Paläolithikum wurden Wildtiere gejagt und ca. ab dem 10. Jahrhundert vor Christus infolge von Domestikation zu Nutztieren. Durch gezielte Züchtung dienten sie der Nahrungsversorgung und bald darauf instrumentalisierte man ihre Kraft als Transportmittel. Während der Industrialisierung ersetzte man ihre tragende Aufgabe zwar vielerorts durch technische Geräte, ihre Nutzbarmachung verschob sich dadurch jedoch lediglich in andere Bereiche. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts beispielsweise nahmen Bergleute Kanarienvögel mit in die Stollen, um vor giftigen Gasen oder Sauerstoffmangel zu warnen. Wenn sie aufhörten zu singen oder tot umfielen, stimmte etwas nicht.
In unserem heutigen Leben übernehmen Tiere völlig unterschiedliche Funktionen – vom Massennahrungsmittel und medizinischen Versuchsobjekt, über den therapeutischen Einsatz, bis hin zum Statussymbol und Partnerersatz. Ob als Mittel-zum-Zweck, als geldbringendes Prestigeobjekt oder als geliebtes Haustier, sind sie nach wie vor allgegenwärtige Begleiter des Menschen. Viele unserer Interaktionen sind geprägt von gewaltsamer Ausbeutung und doch gibt es auch freundschaftliche Momente zwischen beiden Welten. Nicht nur in der säkularen Welt, sondern auch in naturverbundenen Religionen sowie in antiken, mono- als auch polytheistischen Weltreligionen nahmen Tiere häufig eine gesonderte Rolle ein. Schon die frühen Hochkulturen glaubten an Götter in Tiergestalten, und lebten mit der Vorstellung, dass Tiere Mittler zwischen Menschen und Göttern seien. Eine große Bedeutung spielten sie in fast allen Weltreligionen als Tieropfer, dessen Blut die Menschen von Sünden befreien und reinigen sollte. Während im Christentum etwa die Schlange als Symbol für das Böse und den Verrat gilt, wird mit ihr im Hinduismus und Buddhismus Kraft und Energie verbunden.
Die Mensch-Tier-Beziehung kann daher nicht losgelöst von dem Gesamtkontext menschlicher Kultur und Gesellschaft bewertet werden, da sie sich in einer ständigen, sich verändernden Wechselwirkung befindet. Doch worauf fußen die Beziehung zwischen Tieren und Menschen eigentlich? Und könnte man behaupten, dass das Verhalten zwischen Mensch und Tier auch ein Spiegel des menschlichen Umgangs mit sich selbst sein könnte?
In seinen großformatigen Malereien geht Andi Fischer dem Verhältnis zwischen Mensch und Fauna in tradierten Abbildungen der Kunstgeschichte, sowie in persönlichen Beobachtungen seines Alltages nach, und vermengt so historisches mit zeitgenössischem Erleben. Tiere und Menschen tauchen in unterschiedlichen Konstellationen als wiederkehrende Motive in seinen Malereien, Zeichnungen und Skulpturen auf und befragen ihre gegenseitigen Abhängigkeiten auf humorvolle Weise. Auf weiß grundierten Leinwänden finden sie durch schnelle Ölkreidestriche ihre Form, werden grob umrissen und in einer für ihn charakteristischen, unbefangenen Direktheit auf den Stoff übertragen. Die bewusste Ungeschicklichkeit der Strichführung in seinen zitternden, fragilen Bildwelten ist zugleich von einer wesentlichen Bestimmtheit getragen, die das Prozessuale in seiner Unvollkommenheit in den Vordergrund rückt.
Die dreiteilige Komposition in Nanu dass ging aber flott (2020), bestehend aus einer blauen Regenwolke im rechten Bildeck, einem Tiger im Mittelgrund der Leinwand, und einem liegenden Menschen im grünen Anzug am unteren Bildrand, stellt in wenigen, dynamischen Umrissen eine korrelierende Beziehung zwischen den Bildmotiven her. Mit nach oben gerissenen Händen scheint sich der Mensch gegen etwas zu wehren, sich gar zu ergeben. Der Tiger, hinabblickend, zeigt zwei Zähne und verkörpert in seiner kompositorischen Positionierung eine Überlegenheit gegenüber dem Menschen.
In Hase am Stock (2020) hingegen kehrt sich das Verhältnis von Vier- und Zweibeiner in einer ähnlichen dreiteiligen Komposition um. Ein blau-gewellter Himmel am oberen Bildrand, ein aufrecht stehendender Mensch mit gelbem Haar und grünem Gewand an der rechten Bildfläche, und ein Hasen, der, wie der Titel vermuten lässt, an einem Stock hängt, welcher vom Menschen geschultert wird. Mit nach unten hängendem Kopf spreizt das Tier seine Vorderbeine vom erlegten Körper ab und demonstriert dadurch seine offensichtliche Wehrlosigkeit.
Schwan Alge Rettung (2020) lässt das skizzenhafte Geschehen zwischen Tier und Mensch jedoch nicht so einfach einordnen. Zwar wird ein weißer Schwan von einem unbekleideten Menschen am Hals ergriffen, doch erzählt ein schmales grünes Band an der linken Flosse des Tieres möglicherweise von einer Rettung durch den Menschen. Perspektiven verschwimmen und das Verhältnis der beiden Protagonisten beschreibt die konstitutive Mehrstimmigkeit von Beziehungen im Allgemeinen. Nicht immer ist es möglich Täter und Opfer zu identifizieren und Abhängigkeiten entstehen oft durch beide Seiten.
In der großformatigen Malerei Es scheint ein Problem vorzuliegen (2020) wurde der Mensch schließlich durch ein Tier ersetzt. Fischers Hommage an Daniel in der Löwengrube, ein Gemälde von Peter Paul Rubens von 1614/16 zeigt vier Tiger, die einen einzelnen Löwen in deren Zentrum umranden. In Rubens Original, das eine Bibelstelle zitiert, befindet sich jedoch ein Mensch, Daniel, umzingelt von mehreren Löwen in einer Höhle. Er wurde den Tieren zum Fraß vorgeworfen, da er sich einem Gebetsverbot seines Königs Darius widersetzte. Seine Gebete zu Gott erlösten Daniel jedoch schlussendlich und verschonten ihn vor dem Tod durch die Wildtiere. In Fischers zeitgenössischer Version wird der Mensch zum Löwen, die Löwen zu Tigern und folgt man dem Titel, scheint ein Problem vorzuliegen. Wieso wurde der Mensch aus dieser Erzählung ausgeklammert? Und was passiert nun, da er zum Löwen geworden ist? Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Zusammenkunft von exotischen Tieren erscheint, lässt bei näherer Analyse viele Ambivalenzen offen.
Mythen und kunstgeschichtliche Referenzen tauchen immer wieder in Fischers Arbeiten auf und werden nicht nur durch ungewöhnliche Kompositionen, sondern auch durch die eigenwillige Bildsprache des Künstlers verflüssigt und in neue Kontexte versetzt.
Ein fragiler Charakter, der die Hierarchie des Mediums und des Dargestellten durcheinanderbringt, ist seinen Malereien immanent – Skizzenhaftes wird zum eigentlichen Werk, Großes zum Kleinem, Menschen zu Tieren und vice versa. Das Malen mit Ölkreide verzeiht wenige Fehler und Linien, die einmal gezogen wurden, bleiben. Schnipsel, Wortfetzen, alltägliche Momente und geschichtliche Erzählungen werden zu neuen Hybridwesen, die Begriffe wie ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ obsolet machen. Die unterschiedlichen Lager sind selten eindeutig und wer auf welcher Seite steht, bleibt oftmals ein Rätsel. Mit Leichtigkeit in schnellem Tempo und einer vehementen Rhythmik werden so Rangordnungen verabschiedet und gängige Narrative losgelassen. Was bleibt, sind ambivalente Portraits der vielschichtigen Ko-Abhängigkeiten, nicht nur zwischen Mensch und Tier, sondern auch zwischen BetrachterInnen und Fischers Werken, die durch seine direkte, pragmatische Sprache in Bild und Text Althergebrachtes und Neues auf wertfreie Weise ineinander verflechten.
Andi Fischer:
WENN TIERE ZU MENSCHEN WERDEN UND VICE VERSA
5.10.2020 — Katalogtext
Sies+Höke
Zwischen Mensch und Tier bestand seit jeher eine konstante Co-Abhängigkeit, die sich im Laufe der Jahrtausende innerhalb religiöser, kultureller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen veränderte. Im Paläolithikum wurden Wildtiere gejagt und ca. ab dem 10. Jahrhundert vor Christus infolge von Domestikation zu Nutztieren. Durch gezielte Züchtung dienten sie der Nahrungsversorgung und bald darauf instrumentalisierte man ihre Kraft als Transportmittel. Während der Industrialisierung ersetzte man ihre tragende Aufgabe zwar vielerorts durch technische Geräte, ihre Nutzbarmachung verschob sich dadurch jedoch lediglich in andere Bereiche. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts beispielsweise nahmen Bergleute Kanarienvögel mit in die Stollen, um vor giftigen Gasen oder Sauerstoffmangel zu warnen. Wenn sie aufhörten zu singen oder tot umfielen, stimmte etwas nicht.
In unserem heutigen Leben übernehmen Tiere völlig unterschiedliche Funktionen – vom Massennahrungsmittel und medizinischen Versuchsobjekt, über den therapeutischen Einsatz, bis hin zum Statussymbol und Partnerersatz. Ob als Mittel-zum-Zweck, als geldbringendes Prestigeobjekt oder als geliebtes Haustier, sind sie nach wie vor allgegenwärtige Begleiter des Menschen. Viele unserer Interaktionen sind geprägt von gewaltsamer Ausbeutung und doch gibt es auch freundschaftliche Momente zwischen beiden Welten. Nicht nur in der säkularen Welt, sondern auch in naturverbundenen Religionen sowie in antiken, mono- als auch polytheistischen Weltreligionen nahmen Tiere häufig eine gesonderte Rolle ein. Schon die frühen Hochkulturen glaubten an Götter in Tiergestalten, und lebten mit der Vorstellung, dass Tiere Mittler zwischen Menschen und Göttern seien. Eine große Bedeutung spielten sie in fast allen Weltreligionen als Tieropfer, dessen Blut die Menschen von Sünden befreien und reinigen sollte. Während im Christentum etwa die Schlange als Symbol für das Böse und den Verrat gilt, wird mit ihr im Hinduismus und Buddhismus Kraft und Energie verbunden.
Die Mensch-Tier-Beziehung kann daher nicht losgelöst von dem Gesamtkontext menschlicher Kultur und Gesellschaft bewertet werden, da sie sich in einer ständigen, sich verändernden Wechselwirkung befindet. Doch worauf fußen die Beziehung zwischen Tieren und Menschen eigentlich? Und könnte man behaupten, dass das Verhalten zwischen Mensch und Tier auch ein Spiegel des menschlichen Umgangs mit sich selbst sein könnte?
In seinen großformatigen Malereien geht Andi Fischer dem Verhältnis zwischen Mensch und Fauna in tradierten Abbildungen der Kunstgeschichte, sowie in persönlichen Beobachtungen seines Alltages nach, und vermengt so historisches mit zeitgenössischem Erleben. Tiere und Menschen tauchen in unterschiedlichen Konstellationen als wiederkehrende Motive in seinen Malereien, Zeichnungen und Skulpturen auf und befragen ihre gegenseitigen Abhängigkeiten auf humorvolle Weise. Auf weiß grundierten Leinwänden finden sie durch schnelle Ölkreidestriche ihre Form, werden grob umrissen und in einer für ihn charakteristischen, unbefangenen Direktheit auf den Stoff übertragen. Die bewusste Ungeschicklichkeit der Strichführung in seinen zitternden, fragilen Bildwelten ist zugleich von einer wesentlichen Bestimmtheit getragen, die das Prozessuale in seiner Unvollkommenheit in den Vordergrund rückt.
Die dreiteilige Komposition in Nanu dass ging aber flott (2020), bestehend aus einer blauen Regenwolke im rechten Bildeck, einem Tiger im Mittelgrund der Leinwand, und einem liegenden Menschen im grünen Anzug am unteren Bildrand, stellt in wenigen, dynamischen Umrissen eine korrelierende Beziehung zwischen den Bildmotiven her. Mit nach oben gerissenen Händen scheint sich der Mensch gegen etwas zu wehren, sich gar zu ergeben. Der Tiger, hinabblickend, zeigt zwei Zähne und verkörpert in seiner kompositorischen Positionierung eine Überlegenheit gegenüber dem Menschen.
In Hase am Stock (2020) hingegen kehrt sich das Verhältnis von Vier- und Zweibeiner in einer ähnlichen dreiteiligen Komposition um. Ein blau-gewellter Himmel am oberen Bildrand, ein aufrecht stehendender Mensch mit gelbem Haar und grünem Gewand an der rechten Bildfläche, und ein Hasen, der, wie der Titel vermuten lässt, an einem Stock hängt, welcher vom Menschen geschultert wird. Mit nach unten hängendem Kopf spreizt das Tier seine Vorderbeine vom erlegten Körper ab und demonstriert dadurch seine offensichtliche Wehrlosigkeit.
Schwan Alge Rettung (2020) lässt das skizzenhafte Geschehen zwischen Tier und Mensch jedoch nicht so einfach einordnen. Zwar wird ein weißer Schwan von einem unbekleideten Menschen am Hals ergriffen, doch erzählt ein schmales grünes Band an der linken Flosse des Tieres möglicherweise von einer Rettung durch den Menschen. Perspektiven verschwimmen und das Verhältnis der beiden Protagonisten beschreibt die konstitutive Mehrstimmigkeit von Beziehungen im Allgemeinen. Nicht immer ist es möglich Täter und Opfer zu identifizieren und Abhängigkeiten entstehen oft durch beide Seiten.
In der großformatigen Malerei Es scheint ein Problem vorzuliegen (2020) wurde der Mensch schließlich durch ein Tier ersetzt. Fischers Hommage an Daniel in der Löwengrube, ein Gemälde von Peter Paul Rubens von 1614/16 zeigt vier Tiger, die einen einzelnen Löwen in deren Zentrum umranden. In Rubens Original, das eine Bibelstelle zitiert, befindet sich jedoch ein Mensch, Daniel, umzingelt von mehreren Löwen in einer Höhle. Er wurde den Tieren zum Fraß vorgeworfen, da er sich einem Gebetsverbot seines Königs Darius widersetzte. Seine Gebete zu Gott erlösten Daniel jedoch schlussendlich und verschonten ihn vor dem Tod durch die Wildtiere. In Fischers zeitgenössischer Version wird der Mensch zum Löwen, die Löwen zu Tigern und folgt man dem Titel, scheint ein Problem vorzuliegen. Wieso wurde der Mensch aus dieser Erzählung ausgeklammert? Und was passiert nun, da er zum Löwen geworden ist? Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Zusammenkunft von exotischen Tieren erscheint, lässt bei näherer Analyse viele Ambivalenzen offen.
Mythen und kunstgeschichtliche Referenzen tauchen immer wieder in Fischers Arbeiten auf und werden nicht nur durch ungewöhnliche Kompositionen, sondern auch durch die eigenwillige Bildsprache des Künstlers verflüssigt und in neue Kontexte versetzt.
Ein fragiler Charakter, der die Hierarchie des Mediums und des Dargestellten durcheinanderbringt, ist seinen Malereien immanent – Skizzenhaftes wird zum eigentlichen Werk, Großes zum Kleinem, Menschen zu Tieren und vice versa. Das Malen mit Ölkreide verzeiht wenige Fehler und Linien, die einmal gezogen wurden, bleiben. Schnipsel, Wortfetzen, alltägliche Momente und geschichtliche Erzählungen werden zu neuen Hybridwesen, die Begriffe wie ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ obsolet machen. Die unterschiedlichen Lager sind selten eindeutig und wer auf welcher Seite steht, bleibt oftmals ein Rätsel. Mit Leichtigkeit in schnellem Tempo und einer vehementen Rhythmik werden so Rangordnungen verabschiedet und gängige Narrative losgelassen. Was bleibt, sind ambivalente Portraits der vielschichtigen Ko-Abhängigkeiten, nicht nur zwischen Mensch und Tier, sondern auch zwischen BetrachterInnen und Fischers Werken, die durch seine direkte, pragmatische Sprache in Bild und Text Althergebrachtes und Neues auf wertfreie Weise ineinander verflechten.