SEE IF I CAN SEE, WHAT OTHERS SEE IN MY WORK
Jan Berger, Bettina Hamm, Jan Hanitsch, Sarah Reva Mohr, Esther Poppe, Siobhan Imaan Rosewood, Nina Schuiki, Catharina Szonn und Ellen Wagner
(Above and Against: RANDOM @ Basis Frankfurt)
1.11.2018 — Katalogtext
Kuba-Paris
Im Gespräch mit einer Freundin und Künstlerin verriet sie mir eine Ungewissheit, die in ihr seit einiger Zeit unaufhörlich keimte. Diese formulierte sich vor allen Dingen in einer Frage, die sie sich selbst zu stellen begonnen hatte:„Ist meine Kunst sichtbar (für andere)?“Der Zweifel um das eigene Sichtbarsein wurde zu ihrem chronischen Begleiter und formte ihren Blick auf sich selbst und andere. Ihrer Ungewissheit möglicherweise unsichtbar zu sein, möchte ich mit den folgenden Gedanken begegnen.
Sichtweisen, meine eigenen und die der anderen, sind wesentlich durch innere und äußere Mechanismen der sozialen Zugehörigkeit und persönlichen Biografie geprägt. Der Habitus [1] meiner Person wird in hohem Maße durch gesellschaftliche Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Ethnizität bestimmt, welche wiederum soziale Erfahrungen formen und die Konstruktion meiner Realität auf fundamentale Weise beeinflussen. Gelebte und ungelebte Vorerfahrungen und – Urteile bedingen zusätzlich den Blick meines Sehens und Gesehenen. Worauf ich mein Augenmerk lege, ist deshalb unabdingbar in meinen kulturellen, geografischen und politischen Kontext verwoben.
Was bleibt letztlich als objektives Kennzeichen von Sichtbarkeit übrig? Und gibt es überhaupt einen gemeinsamen Konsens, der eine Antwort auf die Frage meiner Freundin geben und ihren Zweifel erwidern könnte?
Das Zeigen von Kunst hat sich über die letzten Jahrzehnte stark gewandelt und das Ineinanderfließen von kommerziellen und institutionellen Ausstellungsflächen sowie kuratorischen als auch künstlerischen Techniken brachte eine neue Hybridform des Zeigens hervor. Digitale Präsentationsmöglichkeiten entgegnen mit ihrer rasanten Kurzlebigkeit traditionellen Ausstellungsformaten und formen das Sehen und Gesehenwerden unserer Gegenwart. Diese ist in ihrer Präsenz absolut geworden – alles schwimmt in einer horizontalen Oberfläche ineinander, auf der vormals feststehende örtliche und räumliche Konstanten ihre Festigkeit verlieren.
Die wohl fundamentalste Aufgabe von Ausstellungen, das Sichtbarmachen von Kunst durch eine spezifische inhaltliche als auch räumliche Rahmung scheint dennoch fortzubestehen. Durch die Auswahl gewisser KünstlerInnen oder einer speziellen Thematik wird ein Fokus gesetzt, der innerhalb der Ausstellung seine Verhandlung findet. Doch wieso entscheidet man sich für die eine oder andere Perspektive? Und haben Positionen, die leichter ersichtlich sind Vorteile gegenüber unaufdringlicheren?
Ohne Zweifel ist jede Form des Selektierens gleichermaßen durch den Habitus der Sehenden bestimmt und folglich von subjektiven Faktoren durchzogen. Objektivität ist zwar zum Teil ein erklärtes Anliegen, möglich und erwünscht jedoch, erscheint es kaum. Nicht zuletzt sind auch die Sichtweise der KünstlerInnen in hohem Maße in gesellschaftliche und (ausstellungs-)politische Mechanismen verwoben, die wiederum ihre internen Selektierungs- und Entscheidungsprozesse beeinflussen. Was bedeutet das also für die Kriterien der eigenen künstlerischen Arbeit und wodurch werden diese tatsächlich bestimmt? Das Sehen und Gesehenwerden der Kunst ist zutiefst in das gegenwärtige Geschehen verwoben und wandelt sich in und durch dieses permanent. Im digitalen Zeitalter wurde unser Sehen durch die plurale Simultanität von Ereignissen mit rasanter Geschwindigkeit verändert. Unser alltäglicher Blick findet größtenteils in und durch technologisierte Medien statt, über und mit welchen wir sehen und agieren erlernt haben. Durch diese enorme Überhäufung von Sichtbarem verlieren wir den körperlichen Bezug zum Gesehenen, was folglich nicht nur Auswirkungen auf unsere emotionalen Bezugssysteme hat, sondern uns möglicherweise im Gesamten in einer handlungsunfähigen Bezugslosigkeit ertränken könnte.
Die Auseinandersetzung und das Nachdenken mit und über unsere eigene Sichtbarkeit ist von daher ein besonderer Zündstoff, der dem beliebigen und ziellosen Blick der heutigen digitalisierten (Kunst)-Welt entgegnet. Eine Ausstellung trägt darüber hinaus das Potential eine Blickachse inmitten eines sich ständig wandelnden Sichtfeldes zu setzen, die dem unaufhörlichen Strom der Beiläufigkeiten trotzen kann. Nicht ob Kunst sichtbar ist, sollten wir also unaufhörlich fragen, sondern was mit und durch Kunst sichtbar werden kann.
—
[1] Pierre Bourdieuin Die verborgenen Mechanismen der Macht, 1997
ENGLISH
In conversation with a friend and artist, she told me about an uncertainty that had been constantly growing in her for some time. This uncertainty was expressed above all in a question that she had begun to ask herself repeatedly:
„Is my art visible (to others)?"
The doubt about her own visibility became her chronic companion and formed her view on herself and others. I would like to counter her feeling of being invisible with the following thoughts.
Views, my own and those of others, are essentially shaped by internal and external mechanisms of social affiliation and personal biography. The habitus of my person is largely determined by social categories such as class, gender, and ethnicity, which in turn form social experiences and fundamentally influence the construction of my reality. Lived and unlived previous experiences and preconceptions additionally condition people’s perception of reality. What I focus on is therefore indispensable in my cultural, geographic and political context.
But what remains as an objective indicator of visibility? And is there any common consensus that could answer my friend's question and reassure her about her doubt? The display of art has changed dramatically over the last few decades, and the intermingling of commercial and institutional exhibition spaces as well as curatorial and artistic techniques have produced a new hybrid form of showing. Digital forms of presentation, with their rapid short-livedness, counteract traditional exhibition formats and shape the act of seeing and being seen of our present. Our time has become absolute in its presence – everything floats into each other in a horizontal surface and previously fixed spatial constants lose their stability.
Nevertheless, the most essential task of exhibitions, the visualization of art through a specific content as well as spatial framing seems to persist. A focus set by the selection of certain artists or a specific theme in an exhibition defines a particular focus that finds its negotiation. But why choose one perspective over the other? And do positions that are easier to see have advantages over less obvious ones?
There is no doubt that every form of selection is equally determined by the vision of the seer, and consequently permeated by subjective factors. Although objectivity is partly a declared concern, it is hardly possible to attain and desirable, however. Last but not least, artists' views are also highly interwoven in social and (exhibition) political mechanisms that influence their internal selection processes. So what does that mean for the criteria of one's own artistic work and how are these actually determined?
The seeing and being seen of art is deeply interwoven into the present happening and constantly changes in and through it. Due to the simultaneity of events, the digital age has formed our vision at a rapid pace. For the most part, our everyday look takes place in and through technological media, through and via which we have learned to see and act. Through this enormous overcrowding of the visible, we lose the corporeal relation to the seen, which consequently not only has an effect on our emotional reference systems, but could possibly drown us as a whole in a collective, disoriented referencelessness. The confrontation and reflection with and about our own visibility is therefore a special agent that can counteract the arbitrary and aimless gaze of today's digitized (art) world. The process of defining a parenthesis in an exhibition also sets a focus which swims against the tremendous stream of randomness and forms a visual axis in the midst of a constantly fluttering field of vision. Instead of incessantly asking if art is visible, we should reflect upon the question what can be made visible with and through art.
SEE IF I CAN SEE, WHAT OTHERS SEE IN MY WORK
Jan Berger, Bettina Hamm, Jan Hanitsch, Sarah Reva Mohr, Esther Poppe, Siobhan Imaan Rosewood, Nina Schuiki, Catharina Szonn und Ellen Wagner
(Above and Against: RANDOM @ Basis Frankfurt)
1.11.2018 — Katalogtext
Kuba-Paris
Im Gespräch mit einer Freundin und Künstlerin verriet sie mir eine Ungewissheit, die in ihr seit einiger Zeit unaufhörlich keimte. Diese formulierte sich vor allen Dingen in einer Frage, die sie sich selbst zu stellen begonnen hatte:„Ist meine Kunst sichtbar (für andere)?“Der Zweifel um das eigene Sichtbarsein wurde zu ihrem chronischen Begleiter und formte ihren Blick auf sich selbst und andere. Ihrer Ungewissheit möglicherweise unsichtbar zu sein, möchte ich mit den folgenden Gedanken begegnen.
Sichtweisen, meine eigenen und die der anderen, sind wesentlich durch innere und äußere Mechanismen der sozialen Zugehörigkeit und persönlichen Biografie geprägt. Der Habitus [1] meiner Person wird in hohem Maße durch gesellschaftliche Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Ethnizität bestimmt, welche wiederum soziale Erfahrungen formen und die Konstruktion meiner Realität auf fundamentale Weise beeinflussen. Gelebte und ungelebte Vorerfahrungen und – Urteile bedingen zusätzlich den Blick meines Sehens und Gesehenen. Worauf ich mein Augenmerk lege, ist deshalb unabdingbar in meinen kulturellen, geografischen und politischen Kontext verwoben.
Was bleibt letztlich als objektives Kennzeichen von Sichtbarkeit übrig? Und gibt es überhaupt einen gemeinsamen Konsens, der eine Antwort auf die Frage meiner Freundin geben und ihren Zweifel erwidern könnte?
Das Zeigen von Kunst hat sich über die letzten Jahrzehnte stark gewandelt und das Ineinanderfließen von kommerziellen und institutionellen Ausstellungsflächen sowie kuratorischen als auch künstlerischen Techniken brachte eine neue Hybridform des Zeigens hervor. Digitale Präsentationsmöglichkeiten entgegnen mit ihrer rasanten Kurzlebigkeit traditionellen Ausstellungsformaten und formen das Sehen und Gesehenwerden unserer Gegenwart. Diese ist in ihrer Präsenz absolut geworden – alles schwimmt in einer horizontalen Oberfläche ineinander, auf der vormals feststehende örtliche und räumliche Konstanten ihre Festigkeit verlieren.
Die wohl fundamentalste Aufgabe von Ausstellungen, das Sichtbarmachen von Kunst durch eine spezifische inhaltliche als auch räumliche Rahmung scheint dennoch fortzubestehen. Durch die Auswahl gewisser KünstlerInnen oder einer speziellen Thematik wird ein Fokus gesetzt, der innerhalb der Ausstellung seine Verhandlung findet. Doch wieso entscheidet man sich für die eine oder andere Perspektive? Und haben Positionen, die leichter ersichtlich sind Vorteile gegenüber unaufdringlicheren?
Ohne Zweifel ist jede Form des Selektierens gleichermaßen durch den Habitus der Sehenden bestimmt und folglich von subjektiven Faktoren durchzogen. Objektivität ist zwar zum Teil ein erklärtes Anliegen, möglich und erwünscht jedoch, erscheint es kaum. Nicht zuletzt sind auch die Sichtweise der KünstlerInnen in hohem Maße in gesellschaftliche und (ausstellungs-)politische Mechanismen verwoben, die wiederum ihre internen Selektierungs- und Entscheidungsprozesse beeinflussen. Was bedeutet das also für die Kriterien der eigenen künstlerischen Arbeit und wodurch werden diese tatsächlich bestimmt? Das Sehen und Gesehenwerden der Kunst ist zutiefst in das gegenwärtige Geschehen verwoben und wandelt sich in und durch dieses permanent. Im digitalen Zeitalter wurde unser Sehen durch die plurale Simultanität von Ereignissen mit rasanter Geschwindigkeit verändert. Unser alltäglicher Blick findet größtenteils in und durch technologisierte Medien statt, über und mit welchen wir sehen und agieren erlernt haben. Durch diese enorme Überhäufung von Sichtbarem verlieren wir den körperlichen Bezug zum Gesehenen, was folglich nicht nur Auswirkungen auf unsere emotionalen Bezugssysteme hat, sondern uns möglicherweise im Gesamten in einer handlungsunfähigen Bezugslosigkeit ertränken könnte.
Die Auseinandersetzung und das Nachdenken mit und über unsere eigene Sichtbarkeit ist von daher ein besonderer Zündstoff, der dem beliebigen und ziellosen Blick der heutigen digitalisierten (Kunst)-Welt entgegnet. Eine Ausstellung trägt darüber hinaus das Potential eine Blickachse inmitten eines sich ständig wandelnden Sichtfeldes zu setzen, die dem unaufhörlichen Strom der Beiläufigkeiten trotzen kann. Nicht ob Kunst sichtbar ist, sollten wir also unaufhörlich fragen, sondern was mit und durch Kunst sichtbar werden kann.
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[1] Pierre Bourdieuin Die verborgenen Mechanismen der Macht, 1997
ENGLISH
In conversation with a friend and artist, she told me about an uncertainty that had been constantly growing in her for some time. This uncertainty was expressed above all in a question that she had begun to ask herself repeatedly:
„Is my art visible (to others)?"
The doubt about her own visibility became her chronic companion and formed her view on herself and others. I would like to counter her feeling of being invisible with the following thoughts.
Views, my own and those of others, are essentially shaped by internal and external mechanisms of social affiliation and personal biography. The habitus of my person is largely determined by social categories such as class, gender, and ethnicity, which in turn form social experiences and fundamentally influence the construction of my reality. Lived and unlived previous experiences and preconceptions additionally condition people’s perception of reality. What I focus on is therefore indispensable in my cultural, geographic and political context.
But what remains as an objective indicator of visibility? And is there any common consensus that could answer my friend's question and reassure her about her doubt? The display of art has changed dramatically over the last few decades, and the intermingling of commercial and institutional exhibition spaces as well as curatorial and artistic techniques have produced a new hybrid form of showing. Digital forms of presentation, with their rapid short-livedness, counteract traditional exhibition formats and shape the act of seeing and being seen of our present. Our time has become absolute in its presence – everything floats into each other in a horizontal surface and previously fixed spatial constants lose their stability.
Nevertheless, the most essential task of exhibitions, the visualization of art through a specific content as well as spatial framing seems to persist. A focus set by the selection of certain artists or a specific theme in an exhibition defines a particular focus that finds its negotiation. But why choose one perspective over the other? And do positions that are easier to see have advantages over less obvious ones?
There is no doubt that every form of selection is equally determined by the vision of the seer, and consequently permeated by subjective factors. Although objectivity is partly a declared concern, it is hardly possible to attain and desirable, however. Last but not least, artists' views are also highly interwoven in social and (exhibition) political mechanisms that influence their internal selection processes. So what does that mean for the criteria of one's own artistic work and how are these actually determined?
The seeing and being seen of art is deeply interwoven into the present happening and constantly changes in and through it. Due to the simultaneity of events, the digital age has formed our vision at a rapid pace. For the most part, our everyday look takes place in and through technological media, through and via which we have learned to see and act. Through this enormous overcrowding of the visible, we lose the corporeal relation to the seen, which consequently not only has an effect on our emotional reference systems, but could possibly drown us as a whole in a collective, disoriented referencelessness. The confrontation and reflection with and about our own visibility is therefore a special agent that can counteract the arbitrary and aimless gaze of today's digitized (art) world. The process of defining a parenthesis in an exhibition also sets a focus which swims against the tremendous stream of randomness and forms a visual axis in the midst of a constantly fluttering field of vision. Instead of incessantly asking if art is visible, we should reflect upon the question what can be made visible with and through art.